25 Jahre Multidec – An der Spitze der Schneide liegt der nachhaltige Profit des Unternehmens

Ein Interview mit den beiden Herren Mario Macario (CEO) und Roberto Nicoli (Segment Manager multidec®) über die Eigenmarke multidec® von der UTILIS AG.

 

Herr Macario, Sie waren damals als junger Geschäftsführer der UTILIS in einer nicht ganz so einfachen Situation, es herrschte anfangs der 90er Jahre eine schwere Wirtschaftskrise. In diesem äusserst anspruchsvollen Umfeld haben Sie die Weichen für die UTILIS neu gestellt und das Projekt multidec® lanciert.

 

 

 

 

 

Herr Nicoli, Sie sind 1997 als junger Produktmanager zur UTILIS gestossen und man kann sagen, Sie sind heute die multidec®-Bibel in der UTILIS. Sie haben das heute bekannte multidec®-Portfolio ausgebaut, gepflegt und weiterentwickelt. 25 Jahre multidec® sind eine lange Zeit und hat Sie beide sicherlich geprägt. Gerne würden wir ein bisschen mehr über diese Zeit, und was wir in Zukunft von multidec® erwarten können, erfahren.  

 

 

 

 

Was war der Anstoss/Auslöser, ein eigenes Programm für die Kleinstteilebearbeitung zu entwickeln?

Macario   Aufgrund der heftigen Wirtschaftskrise anfangs der 90er Jahre brach unser  Umsatz innert einem Jahr um über 30% ein und stellte unsere bisherige Strategie in Frage. Als Werkzeugfabrik hatte sich UTILIS in den 70er und 80er Jahren mehrheitlich auf den Werkzeughandel fokussiert. Eigenprodukte waren  vernachlässigt worden und erzielten nur noch einen Bruchteil des Umsatzes in der Schweiz. Die Marktanalyse ergab, dass wir die Abhängigkeit vom Handel und somit auch von der Schweiz reduzieren müssen, um überleben zu können.

Die Uhrenindustrie erhielt durch die SWATCH einen neuen Impuls und die mechanischen Uhrwerke erlebten eine Wiedergeburt. Gleichzeitig etablierte sich die Medizinaltechnik im Bereich der Zahnimplantate und Traumaprodukte mit den Knochenschrauben. Die Nachfrage nach solchen Produkten stieg rasant an. Rostfreie Medizinalstähle und Titan – beides schwer zerspanbare Materialen – waren beim Zerspanen mit gelöteten Stählen, welche der Einrichter für seine Bedürfnisse immer zurechtschleifen musste, eine Herausforderung. Auch die Fertigkeit des Werkzeugschleifens ging verloren, weil die Wendeschneidplatten die gelöteten Stähle verdrängten, denn sie konnten schnell und einfach getauscht werden.

Mit der Einführung der CNC-Technologie bei den Langdrehautomaten wurden neue Werkzeuge benötigt, welche die gleichen Anforderungen wie beim Drehen von grossen Teilen haben sollten.

Diese Hauptfaktoren mündeten in den Entscheid, sich auf Werkzeuge für den Bereich der Kleinstteilbearbeitung auf Langdrehern und Mehrspindelmaschinen zu fokussieren und die dafür idealen Lösungen weltweit anzubieten. Nach dem Leitspruch: «An der Spitze der Schneide liegt der nachhaltige Profit des Unternehmens.»

 

Nicoli   Der Wechsel von kurvengesteuerten auf CNC-gesteuerte Maschinen und die immer kleiner und präziser werdenden Werkstücke bewogen uns, ein auf diese Bedürfnisse angepasstes Werkzeugprogramm zu entwickeln. Zudem eröffnete sich mit den CNC-Maschinen die Möglichkeit, auch kleine Stückzahlen schnell und flexibel herzustellen. Um die Produktivität zu steigern und die Produktionskosten zu senken, wollten die Anwender nicht mehr viel Zeit mit dem Schleifen von Werkzeugen verbringen, sondern schnell auswechselbare und sehr präzise Schneiden einsetzen. Auf diese Bedürfnisse wurde mit dem multidec®-Programm optimal reagiert.

 

 

Nach welcher Strategie wird entwickelt?
Von aussen nach innen oder umgekehrt (Kommen die Ideen aus dem Markt, oder versucht man mit eigenen Ideen einen Markt zu schaffen?)

Macario   Eindeutig von aussen nach innen. Wir sprechen mit unseren Kunden und hören genau zu. Ihre Fertigungsprobleme und Lösungswünsche werden zu unserer Anforderungsliste und münden in ein Pflichtenheft. Dabei prüfen wir immer die neuesten Technologien in der Werkzeugwelt, inwieweit sie sich auch in der Mikrobearbeitung eignen könnten.

 

Nicoli   Aufgrund dieser gesammelten Informationen wird anschliessend in einem eigens dafür eingerichteten Arbeitskreis diskutiert und entschieden, welche Kundenbedürfnisse mit welcher Priorität umgesetzt werden. Die daraus entstehenden Projekte werden in der Entwicklung zur Reife gebracht und anschliessend für unsere Kunden in optimale Werkzeuge umgesetzt.

 

 

Wenn Sie zurückblicken, was waren die Meilensteine/grössten Erfolge in den letzten 25 Jahren?

Macario   Wir sind 1993 mit dem multidec®-CUT gestartet, wo die klassischen Schneidformen und Anwendungen bei der Aussenbearbeitung auf den Langdrehautomaten angeboten wurden. Zudem wurde das multidec®-TOP lanciert, eine an der Spitze abgeflachten ISO-Platte, welche zum Plan-, Vorne- und Hintendrehen genutzt werden konnte.

Kurz darauf kam die Forderung nach einem ISO-Programm, bei welchem die Wendeschneidplatten optimale Spanleitstufen mit Eckenradien < 0.2 mm und gleichzeitig Hartmetallsorten für die Kleinstteilbearbeitung vereinigten. Entsprechend wurden auch die dazu nötigen schlanken Halter in allen möglichen Anstellwinkeln als Standard ins Programm als multidec®-ISO aufgenommen.

Gleichzeitig war das Innendrehen in Bohrungen von 0.5 bis 8mm Durchmesser ein Thema. Hier bieten wir mit multidec®-BORE MICRO mittlerweile ein sehr breites Standardprogramm an.

Während der Finanzkrise 2008 suchten unsere Kunden in der Medizinaltechnik günstigere Wirbel-Wendeschneidplatten für die Herstellung der Gewinde bei Knochenschrauben. Da das Wirbeln ein Fräsprozess ist, war für uns klar, dass ein Werkzeugsystem in diesem Bereich möglichst viele Schneiden aufweisen muss, um die Prozesskosten erheblich zu senken. Mit dem multidec®-WHIRLING konnten wir die Anforderung unserer Kunden bestens erfüllen, weil wir Wirbelringe mit bis zu 12 Schneiden auf einen Flugkreis von 12 mm anbieten, was zu einer Prozesskostenoptimierung von bis zu 80% führt. Der Schneidenpreis tritt dadurch in den Hintergrund. Auf diese Weise haben wir den weltweiten Markt revolutioniert und die vielen Nachahmungsversuche unserer Marktbegleiter bestätigen unseren Erfolg.

 

Nicoli   Wie schon erwähnt, war und ist die Einführung von multidec®-CUT wie auch von multidec®-TOP eine Erfolgsgeschichte. Der Name «TOP» ist treffend, denn diese Wendeplatte ist selbst nach 25 Jahren noch immer ein TOP-Produkt.

Ein weiterer Meilenstein wurde 2003 mit der Einführung der Entwicklung multidec®-CUT 3000 gesetzt. In dieses neue System liessen wir alle in den vergangenen Jahren gesammelten Erfahrungen einfliessen. Das neue multidec®-CUT 3000 hatte sich in Windeseile im Markt etabliert und erlaubte uns, das alte System sehr schnell zu ersetzen.

In den letzten Jahren haben wir uns auf den Zerspanungsprozess konzentriert. Dabei entsteht Wärme, welche von der Schneide abgeführt werden muss, um die Standzeit nicht zu beeinträchtigen. Weiter sollte der Span kontrolliert vom Werkstück weggelenkt werden. Hier nutzen wir den Technologiewandel zu leistungsfähigen Hochdruck-Kühlmittelpumpen gezielt und entwickeln innen gekühlte Werkzeuge für die Langdrehmaschinen. Die Herausforderung, Kühlmittelkanäle in den kleinen und schlanken Halter zu legen und im engen Werkzeugraum die Kühlmittelschläuche an das Werkzeug zu führen, ist gross und die Lösung kann teuer sein. Beim patentierten multidec®-LUB Klemmkeil sind die Kühlkanäle bereits integriert und die Investition wird nur pro Werkzeugplatz getätigt. Der Kunde kann also weiterhin seine klassischen Werkzeuge nutzen. Als Mehrwert ist sogar ein Anschlag integriert, der ihm das genaue und schnelle Wechseln des Werkzeuges bietet.

 

 

Gab es auch Rückschläge?

Nicoli   Auf dem Weg bis zur Reife eines Produktes muss immer wieder überprüft werden, ob die Richtung der Entwicklung noch stimmt und gegebenenfalls muss diese angepasst werden. Glücklicherweise hatten wir aber nie grössere Rückschläge. Die in den vielen Jahren gesammelten Erfahrungen und die Kompetenz unserer Mitarbeiter im Arbeitskreis haben uns vor grösseren und kostspieligen Fehlern bewahrt.

 

Macario   Natürlich können wir unsere Ideen nicht alle wie geplant umsetzen. Gelegentlich müssen Projekte leider in der Entwicklungsphase abgebrochen werden und wir müssen Produktelinien einstellen, weil das Marktbedürfnis falsch eingeschätzt wurde. Als Unternehmen muss man aber etwas wagen, um auch gewinnen zu können.

 

 

Was erwartet uns noch?

Nicoli   Das sich rasch wandelnde Umfeld, Industrie 4.0, die neuen Technologien Laser, Additive Fertigung, Rapid Prototyping usw. werden uns bestimmt herausfordern. Durch die Veränderungen in der Mobilität, also weg vom Verbrennungsmotor und hin zum Elektroantrieb, werden zahlreiche Motorenkomponenten nicht mehr gebraucht. Auch dies wird bedeutende Auswirkungen auf die spanabhebende Fertigung und die dazu benötigten Werkzeuge haben. Es werden neue Aufgaben auf uns zukommen, welche neue Denk- und Lösungsansätze erfordern. Es wird auf jeden Fall interessant und spannend bleiben. Wir sind auf jeden Fall bereit für diese neuen Herausforderungen.

 

Macario   Industrie 4.0 eröffnet aber auch die Möglichkeit, unser Fachwissen über neue Kommunikationsformen dem Anwender zu Verfügung zu stellen. Hier werden wir in Zukunft für den Kunden nützliche Elemente, Informationen und Lösungen in Zusammenhang mit unserem E-Shop anbieten.

 

 

Mit dem Bezug der neuen Fertigungshallen wurden die Kapazitäten verdoppelt. Wo sehen Sie den grössten Wachstumsmarkt für das multidec®-Programm?

Macario   Die Branchen werden weltweit die gleichen bleiben. Industrie 4.0, wo vieles auf Robotik und Automation gestützt ist, wird den Bereich der Mikromechanik stark beeinflussen. Kleine Elektromotoren, Getriebe usw. sind gefragt und die Bauteile wird man auf Langdrehautomaten herstellen. Hier sehe ich neben Europa und Asien im speziellen auch China und die USA.

 

Nicoli   Durch die zunehmende Komplexität der Werkstücke, die schwierig zu zerspanenden, modernen Werkstoffe wie auch die Miniaturisierung, werden immer mehr Sonderlösungen gefragt sein. In der Mikromechanik werden auch in Zukunft Wachstumspotenziale vorhanden sein. In der Elektrotechnik und in der IT-Branche werden viele Mikroteile verwendet. Auch in der Medizintechnik sehen wir weiteres Potenzial. Hier werden in Zukunft neue Materialien die Herausforderung sein. Mit cleveren Lösungen werden wir auch hier gute Chancen haben, vorne dabei zu sein. Um solche Herausforderungen zu meistern, braucht es einen modernen Maschinenpark mit ausreichenden Kapazitäten. Mit neuen Projekten bereiten wir uns darauf vor.

 

 

Wie stark und wie gross ist der Wettbewerb in diesem Marktsegment?

Macario   Er ist intensiv, wie in allen Branchen. Aber er ist auch interessant und fordernd. In der Kleinstteilbearbeitung sind die sehr schmalen Toleranzfelder und das Vermindern des Schnittdruckes bestimmend in der Zerspanung. Darum haben sich vor allem Schweizer Anbieter, aber auch deutsche und japanische Firmen im Markt etabliert, weil sie sich ausschliesslich diesen Themen widmen.

 

Nicoli   Der Wettbewerb ist bezogen auf die Anzahl Mitbewerber nicht unbedingt sehr gross. Da wir eher in einer Nische tätig sind, ist der Markt für grosse Anbieter weniger interessant. Von den Mitbewerbern, welche sich jedoch ähnlich wie wir in diesen Märkten bewegen, sind einige sehr kompetent und bieten gute Produkte an. Wir beobachten laufend deren Aktivitäten und sind bestrebt, mit den für unsere Kunden gewinnbringenderen Lösungen immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

 

Arbeitskreis multidec

Von links: Matthias FILIPP, Alexander STÄMPFLI, Thomas FORRER, Roberto NICOLI, Mario MACARIO, Yves JUILLERAT, Denis JUILLERAT und Carmine FABOZZI.